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SPEECH PRONUNCIATION DISORDERS IN GERMAN LANGUAGE – THE REVIEW


Kindliche Aussprachestörungen im Deutschen - Ein Überblick

Aussprachestörungen im Deutschen sind bei Kindern der häufigste Anlass zur Sprachtherapie. Die Prävalenz dieser liegt bei ca. 16% der 3;6 Jährigen bis hin zum Schuleintritt (Fox-Boyer, 2014a). Grundlage in der Betrachtung von Aussprachestörungen ist das Klassifikationsmodell nach Dodd (1995, 2005), in dem in phonetische Störungen, phonologische Verzögerungen, konsequente und inkonsequente phonologische Störungen differenziert wird. Die Psycholinguistische Analyse kindlicher Aussprachestörungen (PLAKSS-II; Fox-Boyer, 2014b) ist ein reliables und valides Bildbenennungsverfahren, welches im Deutschen zur Überprüfung der Aussprache häufig angewendet wird. In der Therapie wird in motorische und phonologische Ansätze unterschieden. Die gängigste Methode ist die Psycholinguistisch orientierte Phonologie-Therapie (P.O.P.T., Fox-Boyer, 2014c). In diesem evidenzbasierten Ansatz wird das Sprachverarbeitungsmodell von Stackhouse und Wells (1997) berücksichtigt.

Keywords:

Aussprachestörungen – Klassifikationsmodell nach Dodd – PLAKSS-II – PDSS – Motorisch orientierter Therapieansatz – Phonologisch orientierter Therapieansatz


Autoři: Keul Ramona 1;  Brudnicki Magdalena 1;  Osiecki Nina 1
Působiště autorů: Katholische Klinikum Koblenz-Montabaur 1
Vyšlo v časopise: Listy klinické logopedie 2018; 2(1): 21-29
Kategorie: Hlavní téma

Souhrn

Speech pronunciation disorders in German language is the main reason why children come to speech therapist office. The majority is between the age of 3-6, it presents 16% of the population. The basic method for assessing the specification of their speech impairment is the “Dod” classification model (1995, 2005). This method analysis whether the impairment is caused by phonetic disability, phonological retardation or consequent or non-consecvent phonological disability. The psycho-linquistical method of child speech impairment analyses (PLAKSS-II, Fox- Boyer, 2014b) is based on a reliable exercise of naming pictures that are, in the German language used to examine the quality of pronunciation. In the therapy, there are two different approaches, motorical and phonological. The common method is the Psycho-linquistical oriented phonological therapy (P.O.P.T., Fox-Boyer, 2014c). This method takes, when analysing the impairment, the Steakhouse and Wellse model into account (1997).

Klíčová slova:

speech pronunciation disorders – Dod classification model – PLAKSS-II – PDSS – motororiented therapy – phonological oriented therapy

 1 Einleitung

 Mit einem Anteil von 52,5% der AOK-Ver­sicherten stellten Verordnungen für Sprach­störungen vor Ab­schluss der Sprach­entwicklung im Jahr 2016 den häufigsten Behandlungs­anlass der Sprach­therapie dar (Waltersbacher, 2017). 
Der Verordnungs­gipfel liegt mit 12,7% in der Alters­gruppe der Fünf- bis Neunjährigen (ebd.). Die Prävalenzrate von spezifischen Sprachentwicklungs­störungen (sSES) wird von ver­schiedenen Autoren unter­schiedlich beziffert. Kany und Schöler (2012) schätzen sie beispielsweise auf 3-8%, Dittmann (2006) auf 6-8%. Kindliche Aussprachestörungen machen den Großteil der Kinder in logopädischen Praxen aus. Erste Prävalenzdaten für behandlungsbedürftige Aussprachestörungen im deutschsprachigen Raum liegen bei ca. 16% (Fox-Boyer, 2014a) im Alter von 3;6 Jahren bis zum Schuleintritt.

2nd Phonologie-Erwerb im Deutschen

23 Konsonanten [p b t d k g f v s z ʃ x ç h m n ŋ l ʁ j ʔ pf ts] und 16 Vokale [i y e ø o u ɪ ʏ ɛ œ ɔ a ʊ ə; aɪ au ɔɪ] müssen muttersprachlich deutsch aufwachsende Kinder im Zuge der phonetisch-phonologischen Entwicklung erwerben. Bereits vor der Geburt beginnt der Erwerb des phonologischen Systems. Die frühen sprechperzeptiven Fähigkeiten von Säuglingen bahnen spätere lexikalische und grammatische Entwicklungsschritte an und gelten als Prädiktor für die Sprachentwicklung (Kuhl, Conboy, Padden, Nelson & Pruitt, 2005). Die Fähigkeit der Wort­segmentation aus dem Sprachstrom anhand von prosodischen und weiteren Hinweisreizen erweitert sich ab etwa sechs Monaten, sodass als Grundlage für den Grammatikerwerb auch syntaktisch zusammengehörende Einheiten wahrgenommen werden können. Als Voraussetzung für den Erwerb phonetischer, lexikalischer und semantischer Informationen ist demnach die Wahrnehmung sprachspezifischer prosodischer Informationen notwendig, die die Erkennung von Wort- und Phrasengrenzen aber auch syntaktischen Einheiten ermöglichen (Nazzi & Ramus, 2003; Seidl, 2007). Ausgehend von einer holistischen Ganzwortverarbeitung wird die Verarbeitung der Wortstruktur mit wachsendem Wortschatz immer präziser. Mit dem Wortschatzspurt verlagert sich die kindliche Wortproduktion von einer phonetischen zur phonologischen Struktur (Vihman, 1996). Gleichzeitig wird die zunächst inkonsequente Wortproduktion immer konsequenter, wobei interindividuelle qualitative und quantitative Unterschiede bestehen bleiben. Im Alter von 2;0-2;5 Jahren liegt die Inkonsequenzrate bereits deutlich unter 40% (Schäfer & Fox, 2006). Ab 2;6 Jahren ist eine phonologische Prozessanalyse möglich. Neben individuellen, isoliert oder sehr selten auftretenden Prozessen können für das Deutsche typische Prozesse beschrieben werden (vgl. Abb. 1):

  • Vorverlagerung (VV)
    • von /ʃ/ [s], z.B. Schule ◊ „sule“
    • von /ç/ ◊ [s], z.B. Teich ◊ „teis“
    •  von /k g/ ◊ [t d], z.B. Kuchen „tuchen“, Giraffe ◊ „diraffe“ 
    • von /ŋ/ ◊ [n], z.B. lang ◊ „lan“
  •  Reduktion von initialen Consonant-Clustern (RCCi), z.B. Fleisch ◊ „leisch“, Blume ◊ „bume“
  •  Rückverlagerung (RV) von /ʃ/ ◊ [ç], z.B. Schaf ◊ „chaf“ 
  • Plosivierung (Plos), z.B. Fisch ◊ „pisch“, Sahne ◊ „tahne“
  • Tilgung finaler Konsonanten (TfK), z.B. Licht ◊ „lich“, Gabel ◊ „gabe“
  • Tilgung silbenfinaler Konsonanten (TsfK), z.B. Lampe ◊ „lape“
  • Glottale Ersetzung (Glot Er) /ʁ/ [h ʔ], z.B. Roller ◊ „holler“
  • Deaffrizierung (Deaffr) /pf ts/, z.B. Apfel ◊ „afel“, Zange ◊ „sange“
  • Assimilation (Ass), z.B. kaputt ◊ „paput“
  • Tilgung unbetonter Silben (TuS), z.B. Banane ◊ „nane“  

Abbildung 1 Physiologische phonologische Prozesse (Fox-Boyer, 2014c, S.14)
Abbildung 1 Physiologische phonologische Prozesse (Fox-Boyer, 2014c, S.14)

Das im Folgenden dargestellte psycholinguistische Modell erläutert die möglichen Störungsebenen von Aussprachestörungen.

2.1 Sprachverarbeitungsmodell nach Stackhouse und Wells (1997)

Stackhouse und Wells (1997) entwickelten ein Sprachverarbeitungsmodell (vgl. Abb. 2), welches darstellt wie Sprache verarbeitet, produziert und gespeichert wird.

Abbildung 2 Sprachverarbeitungsmodell nach Stackhouse & Wells, Übersetzung in Fox- Boyer (2014c, S. 16)
Abbildung 2 Sprachverarbeitungsmodell nach Stackhouse & Wells, Übersetzung in Fox-
Boyer (2014c, S. 16)

Die einzelnen Bausteine sollen kurz skizziert werden. Zunächst erreicht ein akustischer Reiz (Input) das Ohr und wird verarbeitet (auditive Verarbeitung). Bei dem Schritt Diskrimination wird entschieden, ob es sich um sprachlichen oder nichtsprachlichen Input handelt. Die Komponente des phonologischen Erkennens dient dazu, das Wort in seinen phonologischen Bestandteilen zu erkennen und mit einer gespeicherten Wortform in der phonologischen Repräsentation abzugleichen. Dort sind die Wortformen gespeichert. Zu jedem abgespeicherten und erworbenen Wort gehören drei Ebenen der Spei­cherung: die phonologische Repräsentation (=Wortform), die semantische Reprä­sentation (=Wortbedeutung) und das motorische Programm (=artikulatorische Umsetzung) (Stackhouse & Wells, 1997; Fox-Boyer, 2014c). Im Bereich der motorischen Programmierung kann der Bewegungsablauf akut erstellt werden und durch Wiederholungen im motorischen Programm abgespeichert werden. Diese Komponente hat keinen Zugriff auf die Semantik. Im Rahmen der motorischen Planung muss das Wort mit Sprechfluss und -geschwindigkeit in Zusammenhang gebracht werden, bevor es mit der motorischen Ausführung tatsächlich produziert (Output) wird.

2.2 Grundlagen Aussprachestörungen

Als Oberbegriffe werden derzeit im deutsch­sprachigen Raum die folgenden Begrifflichkeiten synonym verwendet: Aus­sprache­störung, Artiku­lationsstörung, phonetisch-phonologische Störung, Dyslalie (Fox-Boyer, 2014a). Terminologisch erfolgt unter dem Begriff kindliche Aussprachestörung eine Einteilung in organische und funktionelle Aussprachestörungen. Eine organische Aussprachestörung liegt vor, wenn eine organische Störung (z.B. Zerebralparese, Spaltbildungen) ursächlich mit der Aussprachestörung in Verbindung gebracht werden kann. Bei den funktionellen Aussprachestörungen wiederum wird zwischen Artikulationsstörungen und phonologischen Störungen unterschieden. Aufgrund der Heterogenität der Kinder mit Aussprachestörungen hinsichtlich Verständlichkeit, Symptomen und den zugrunde liegenden Ursachen, ist eine weitere Klassifikation notwendig. Das psycholinguistisch orientierte Klassifikationsmodell von Dodd (1995) unterteilt die funktionellen Aussprachestörungen nach ihren Symptomarten in vier Untergruppen (vgl. Abb. 3).

Abbildung 3 Klassifikationsmodell nach Dodd (1995) (Fox-Boyer, 2016)
Abbildung 3 Klassifikationsmodell nach Dodd (1995) (Fox-Boyer, 2016)

Als Prozess wird von Fox-Boyer „das mindestens 5-malige Auftreten einer identischen Abweichung der kindlichen Aussprache von der Erwachsenen­aussprache“ (2014b) definiert. Als phonetische Prozesse finden sich im Deutschen vor allem Sigmatismus interdentalis oder addentalis sowie die laterale Realisation von /ʃ/ und/oder /z s/. Von einer signifikanten phonologischen Verzögerung wird ab einem zeitlichen Rückstand von 6Monaten gesprochen. Häufig zeigen sich die Substitutionsprozesse Vorverlagerung der Velare /k g ŋ/ und Vorverlagerung der Sibilanten /ʃ ç/, die glottale Ersetzung von /ʁ/ sowie der Strukturprozess Reduktion initialer Konsonantenverbindungen. Plo­sivierungen zählen zu den häufigsten pathologischen Prozessen.

Bereits ausbleibendes Lallen oder nur wenig variables Lallen deutet nach Fox-Boyer (2014a) auf eine mögliche inkonsequente phonologische Störung hin. Pathologische phonologische Produktionsfehler im Alter von 2;0 und 2;5 Jahren gelten als stärkster Prädiktor für Aussprachestörungen im Alter von drei Jahren (Fox-Boyer & Schäfer, 2015).

3 Aussprachediagnostik

Ziel der Diagnostik ist es, den individuellen Entwicklungsstand des Kindes zu erfassen und insbesondere dessen Output-Kompetenzen systematisch zu erheben, um eine gezielte Therapie ableiten zu können (Fox-Boyer, 2014a). Wesentliche Aspekte in der Diagnostik einer funktionellen Aussprachestörung sind:

  • Erhebung anamnestischer Daten
  • Beobachtung der Spontansprache
  • Durchführung eines validen und reliablen Tests
  • Überprüfung der Phon-Stimulierbarkeit
  • Überprüfung der Wortrealisationskonsequenz (ebd.)

Innerhalb der Anamnese gilt es bekannte Risikofaktoren, wie z.B. häufige Mittelohrerkrankungen, Frühgeburtlich­keit oder den Ausbildungsstand der Eltern zu erfragen. Somit können Einfluss- und Kontextfaktoren ermittelt werden. Die Beobachtung der Spon­tan­sprache dient der Feststellung phonetischer und phonologischer Auffällig­keiten sowie die Einschätzung des Kommunikationsverhaltens. Dabei spielen vor allem die Komponenten der Inter­national Classification of Functioning, Disability and Health (ICF; DIMDI, 2005) der Aktivität und Partizipation eine Rolle. Inwieweit wird das Kind von seiner Umwelt verstanden oder wie reagiert es auf Verständigungsprobleme. Zur Erhebung partizipativer Anteile kann der Fragebogen Intelligibility in Context Scale (ICS; McLeod, Harrison & McCormack, 2012) angewendet werden. Als standardisierte Diagnostikinstrumente kommen in der Regel Bildbennenungsverfahren zum Einsatz. Im deutschsprachigen Raum existieren verschiedene Benenntests zur Über­prüfung der Aussprache (vgl. Fox-Boyer, 2014a, S.46). Zu den aktuellsten und gängigsten Verfahren zählen die PLAKSS-II (Fox-Boyer, 2014b) sowie die Untertests Lautbefund, Phonem­differenzierung, Wort­betonung und Silbenstrukturen und Mund­motorik der Patho­linguistische Diagnostik bei Sprach­entwicklungs­störungen (PDSS; Kauschke & Siegmüller, 2009). Mit der Phon-Stimulierbarkeit wird überprüft, ob das Kind einzelne Phone korrekt imitieren kann und beobachtet, wie es reagiert, wenn dies nicht gelingt. Daraus kann abgeleitet werden, ob das Motorische Programm für den Laut vorhanden ist oder nicht. Die Überprüfung der Wortrealisationskonsequenz ist wichtig, um inkonsequente Störungen zu erfassen. Zur Erhebung wird ein Material mit ca. 25-30 Items benötigt, welche innerhalb einer Therapiesitzung dreimal benannt werden müssen (Fox-Boyer, 2014a). Bei der Berechnung der Wortrealisationskonsequenz wird der Prozentsatz der Wörter ermittelt, die gleich realisiert wurden und bei wie viel Prozent es zu Abweichungen kommt.

3.1 PLAKSS-II

Die PLAKSS-II (Fox-Boyer, 2014b) ist ein Benenntest bestehend aus 99 farbigen Zeichnungen in einer DIN-A4-Ringbindung. Dazu gehört eine ausführliche Anleitung zur Durchführung und Auswertung des Tests. Die PLAKSS-II (Fox-Boyer, 2014b) ist ab einem Alter von 2;5 Jahren durchführbar. Die Items wurden nach linguistischen Kriterien erstellt, sind im Wortschatz kleiner Kinder (Zwei-Dreijährige) enthalten und sind gut abbildbar (Fox-Boyer, 2014b). Verschiedene phonologische Aspekte der deutschen Sprache, wie z.B. Phon- und Phoneminventar, Silbenstruktur, Wortstruktur und Betonungsmuster, physiologische sowie pathologische Prozesse, wurden bei der Erstellung berücksichtigt. Der Test besteht aus einem Haupttest mit 96 Items und einem 25-Wörtertest, welcher auch als Screeningmaterial eingesetzt werden kann. Zum Notieren der Reaktionen des Kindes stehen Protokollbögen zur Verfügung. Die Inkonsequenzanalyse erfolgt mit dem dreimaligen Benennen des 25-Wörter-Tests. Anschließend wird die Inkonsequenzrate folgendermaßen berechnet:

3.2 PDSS

Die PDSS (Kauschke & Siegmüller, 2009) ist ein standardisiertes normiertes Diagnostikverfahren zur Erhebung von Sprachentwicklungsstörungen im Alter von 2;0-6;11 Jahren. Das Diagnostik­verfahren bildet die Ebenen Phonetik/Phonologie, Lexikon/Semantik und Syntax/Morphologie ab. Im Weiteren werden nur die Untertests der Ebene Phonetik/Phonologie beschrieben. Nach dem patho­linguisti­schen Ansatz werden das Phonem­inventar, Silben- und Wort­strukturen, die Phonem­differenzierung und suprasegmentale Elemente, wie z.B. Prosodie überprüft, da in diesen Bereichen Symptome vorliegen und zu phonologischen und/oder phonetischen Störungen führen können. Der Diagnostikband Phonologie umfasst die Untertests Lautbefund, Phonemdifferenzierung, Wort­betonung und Silben­strukturen sowie Mundmotorik (Kauschke & Siegmüller, 2009).

Der Lautbefund ist ein klassisches Benennverfahren mit 85 Items, der alle Phoneme (Vokale, Konsonanten, Einzellaute und Konsonatenverbindungen) des Deutschen prüft. Innerhalb der Phonemdifferenzierung wird getestet, ob das Kind minimale Phonemkontraste mit beudeutungsunterscheidender Funktion wahrnehmen kann. Bei einer Auswahl von drei Items (z.B. Tanne-Kanne-Wanne) wird das Kind aufgefordert, nach vorangegangener Benennung der Stimuli des Therapeuten, ein Item zu zeigen. Die Phonemdifferenzierung wird an 26 Items untersucht. Der Untertest Wortbetonung und Silbenstrukturen zeigt, wie das Kind neun dreisilbige Wörter unterschiedlicher Betonungsmuster realisiert. Der Subtest Mundmotorik dient als Anhaltspunkt der Differentialdiagnostik phonologischer und phonetischer Störungen. Er umfasst sechs mundmotorische Aufgaben. Sollte in diesem Bereich eine Auffälligkeit vorliegen ist eine vertiefende Diagnostik der mundmotorischen Fähigkeiten notwendig (ebd.).

3.3 Differentialdiagnostik

In sehr seltenen Fällen kann eine verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) vorliegen. Laut Shriberg (1994) sind ca. 3-5% der Kinder mit einer Aussprachestörung von einer VED betroffen. Die klinischen Marker einer VED zeigen sich in einer inkonsequenten Realisation von Wörtern, Schwierigkeiten bei mund-, zungen und sprechmotorischen Abläufen, Kombination aus Suchbewegungen, Konsonantenauslassungen und eingeschränkter Prosodie (Fox-Boyer, 2014a). Allerdings ist die VED sehr schwierig zu diagnostizieren und Studien, beispielsweise von Shriberg (1994), zeigen, dass sich die Diagnose letztendlich nur bei einem kleinen Anteil an Patienten als korrekt herausstellte.

4 Therapie

Im Folgenden werden zwei verschiedene Therapieansätze vorgestellt, deren Evidenzen sich auf die funktionellen Aussprachestörungen beziehen und in das Klassifikationsmodell nach Dodd (1995) einzuordnen sind (vgl. Abb. 3): Der motorisch orientierte Ansatz nach van Riper (1939) und die phonologisch orientierten Ansätze. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Therapieverfahren, die im Deutschen bei kindlichen Aussprachestörungen angewendet werden.

Tab. 1. Gegenüberstellung der im Deutschen verwendeten Therapiekonzepte für Aussprachestörungen
Gegenüberstellung der im Deutschen verwendeten Therapiekonzepte für Aussprachestörungen

Tabelle 1 Gegenüberstellung der im Deutschen verwendeten Therapiekonzepte für Aussprachestörungen

4.1 Motorisch orientierter Therapieansatz

Die klassische Artikulationstherapie von Charles van Riper (1939) wurde für Schulkinder mit persistierender Aussprachestörung konzipiert. Die Ursache liegt einerseits in einer fehlerhaften Wahrnehmung von Sprachlauten und andererseits in einer inadäquaten motorischen Produktion. Es werden die Aktivitäten sensorisch-perzeptives (Hör-) Training zur Identifikation des Standardlautes und dessen Diskrimination von Fehlproduktionen durch das Beobachten und das Vergleichen, die Variation und Korrektur der verschiedenen Produktionen des Lautes (bis dieser korrekt produziert werden kann), die Stärkung und Stabilisierung der korrekten Produktion und zuletzt der Transfer der neuen artikulatorischen Kompetenz in die Alltagskommunikation trainiert (vgl. Tabelle 1). Dabei steigert sich die linguistische Komplexität von isolierter Lautebene über Silben- (CV, VC, CVC), Wort- (An-, Aus-, Inlaut) auf Satzebene (van Riper & Emerick, 1984). Es ist von Bedeutung, dass das Kind seine artikulatorische Fehlbildung selbst wahrnehmen lernt, denn nur eine differenzierte Eigenwahrnehmung führt zur Selbstkorrektur. Das Hörtraining sollte stets der Lautproduktion vorausgehen (van Riper & Emerick, 1984). Auf das Hörtraining der Fremd- und Eigenwahrnehmung folgt das Produktionstraining indem das Standartmuster des Ziellautes angebahnt wird. Gelingt eine Stimulierung des Ziellautes nicht, werden Übungen zur phonetischen Platzierung angeboten (van Riper, 1939).

Die klassische Artikulationstherapie stellt die älteste Form der Therapie von Aussprachestörungen dar. In Deutschland findet sie Anwendung bei der Behandlung von phonetischen Störungen. Grosstück (2010) belegte die Wirksamkeit der klassischen Artikulationstherapie bei dem Überwinden eines Sigmatismus inter- oder addentalis.

4.2 Phonologisch orientierter Therapieansatz

4.2.1 Minimalpaartherapie

Die Minimalpaartherapie ist die älteste Form der Phonologietherapie und findet seit 1981 durch die Veröffentlichung von Weiner Anwendung. Sie stellte die Basis für die Entstehung einer Reihe von neuen Varianten der Ursprungstherapie dar (Gierut, 1989, 1991; Williams, 2000). Im deutschsprachigen Raum beziehen sich Hacker & Wilgermein (2001) in ihrem Buch „Aussprachestörungen bei Kindern“ auf die Originaltherapie nach Weiner (1981).

Ziel der Behandlung ist es, dem Kind zu verdeutlichen, das ein Phonem entscheidend für die Wortbedeutung ist. Methodisch erfolgt dieser Erkenntnisgewinn über die Präsentation von Minimalpaaren. In der Behandlung werden Minimalpaare ausgewählt, die sich im Fehlen von einem Kontrast unterscheiden und so dem jeweiligen phonologischen Prozess des Kindes entsprechen (z.B. die Vorverlagerung von Velaren /k/ zu /t/). Zunächst wird die rezeptive Wahrnehmung des fehlenden Kontrastes geschult und das Kind wird zu einer Sortieraufgabe angehalten (rezeptive Phase), die keine expressive Äußerung des Patienten fordert (z.B. Kanne – Tanne, Katze – Tatze, Keller – Teller). Sobald das Kind die Begriffe sicher auditiv differenzieren kann, erfolgt ein Rollentausch. Das Kind wird zum Sprecher (expressive Phase) und der Therapeut führt nun die zum Begriff passende Handlung aus. Unter Umständen führt der Therapeut nun eine andere Handlung aus als vom Kind gewünscht. Dieses entstandene „Missverständnis“ wird metasprachlich reflektiert, dabei verweist der Therapeut auf die bedeutungsunterscheidende Funktion von Phonemen hin. Das Kind erhält die Möglichkeit seine Produktion zu überarbeiten und den neu erworbenen Kontrast (z.B. alveolar vs. velar) auch expressiv zu erproben (vgl. Tabelle 1). Falls erforderlich ist ein Exkurs zur phonetisch orientierten Therapie (z.B. Darstellung der Artikulationsstelle) erlaubt. Anschließend werden weitere Wörter mit dem neu erlernten Kontrast expressiv eingebettet.

Die Minimalpaartherapie wurde ursprünglich für monolingual englischsprechende Kinder entwickelt. Das Englische verfügt über eine Vielzahl von monosyllabischen Wörtern, was einen flexiblen Realworteinsatz ermöglicht. Für monolingual englischsprachige Kinder erwies sich der Ansatz als effektiv, wenn die Kinder nur wenige physiologische phonologische Prozesse zeigten (Tyler, Edwards & Saxman, 1987). Für den deutschsprachigen Raum liegen keine Effektivitätsstudien vor, die eine Übertragbarkeit der Minimalpaartherapie auf die deutsche Sprache belegen. Fox (2003/2016) sieht die Anwendbarkeit aufgrund der unterschiedlichen Sprachstruktur im Deutschen kritisch. Die deutsche Sprache verfügt nicht über genügend monosyllabische Wörter, wodurch dem Therapeuten nicht genügend Therapiematerial zur Verfügung steht, um die gewünschten Ziel- und Ersatzlautstrukturen abzubilden.

4.2.2 Metaphon-Therapie

Das Metaphon-Konzept (Howell & Dean, 1991) wurde für Kinder mit phonologischen Aussprachestörungen ab dem Alter von 4-5 Jahren entwickelt. Howell & Dean (1991) vertreten die Annahme, dass die Konfrontation mit Homonymen (z.B. Minimalpaare) nicht ausreicht, um bei Kindern mit kognitiv-linguistischen Defiziten eine Veränderung in der Aussprache zu bewirken. Demnach kombinierten sie in der Metaphontherapie einen Ansatz zur Förderung der metaphonologischen Fähigkeiten mit dem Minimalpaaransatz (Bankson, Bernthal & Flipsen, 2013). Das Konzept gliedert sich in zwei Phasen. In der ersten Phase werden dem Kind die Kontraste des ausgewählten phonologischen Prozesses vermittelt, ermutigt die Zielstrukturen zu entdecken und zu manipulieren. Das Vorgehen unterscheidet sich in der Behandlung von Silbenstrukturprozessen und Substitutionsprozessen. Bei letzterem werden „labels“ zur Beschreibung der Lautmerkmale eingeführt. Dabei werden die Bedeutungen, z.B. vorne vs. hinten für die Vorverlagerung der Velaren, eingeführt und gefestigt (Konzeptebene). Im Anschluss werden die Ziel- und Ersatzlaute in hierarchische Steigerung von Laut- über Silben- bis hin zur Wortebene rezeptiv differenziert (vgl. Tabelle 1) und den Referenzkarten zugeordnet (Jahn, 2000). In der Behandlung von Silbenstrukturprozessen wird das Kind auf Konzeptebene angehalten Mengen und Reihenfolgen unterscheiden zu können. Das Kind soll die Fähigkeit erwerben die Silbenstruktur analysieren, identifizieren und klassifizieren zu können (z.B. CCV vs. CCCV). Die Steigerungshierarchie gleicht dem Vorgehen in der Behandlung von Substitutionsprozessen.

In der zweiten Phase lernt das Kind seine Fehlbildung wahrzunehmen und expressiv zu korrigieren. Methodisch steigert sich die Durchführung mit Hilfe von Minimalpaaren von Wortebene auf Satzebene.

Der Ursprung des Methaphon Konzept liegt in England. Im englischsprechenden Raum liegen verschiedene Evidenzstudien vor, die einen positiven Effekt des Ansatzes belegten (Dean et al. 1995, 1996; Harbers, Paden & Halle, 1999; Jarvis, 1989). Im deutschsprachigen Raum liegt eine Einzelfallstudie an zwei Kindern vor, in der die Wirksamkeit von Metaphon bei der Behandlung von phonologischen Verzögerungen bestätigt werden konnte (Jahn, 2000).

4.2.3 Psycholinguistisch orientierte Phonologietherapie (P.O.P.T.)

P.O.P.T. (Fox, 2003) wurde als bislang einzige phonologische Therapieform gezielt für die deutsche Sprache konzipiert. Sie baut auf das psycholinguistische Sprachverarbeitungsmodell von Stackhouse & Wells (1997) auf (vgl. Abb. 2). P.O.P.T. ermöglicht die Behandlung von phonologischen Verzögerungen, konsequenten phonologischen Störungen und von inkonsequenten phonologischen Störungen. Der Ansatz richtet sich an Kinder ab 3;0 Jahren. In der Therapie werden pathologische phonologische Prozesse vor physiologischen Verzögerungen und diese wiederum vor phonetischen Störungen therapiert. Das übergeordnete Prinzip stellt die Intervalltherapie in der Behandlung nach P.O.P.T. (Fox, 2003) dar. Dabei wechseln sich Therapiephasen und Therapiepausen in einem Rhythmus von 10-30 Therapieeinheiten ab. Eine Behandlungspause ist indiziert, sobald das Kind das Therapiekonzept erfolgreich durchlaufen oder eine Menge von 30 Therapieeinheiten erreicht hat. Das Kind braucht nun Zeit die Masse des neu erhaltenen Inputs zu verarbeiten, um eigene Entwicklungsschritte zu aktivieren (Fox-Boyer, 2014c).

Die Therapie gliedert sich in eine Vorphase, sowie drei weitere Hauptphasen auf. Diese zielen auf unterschiedliche Ebenen der Sprachverarbeitung ab und steigern sich hierarchisch. Bei der Behandlung von Substitutionsprozessen spricht der Therapeut dem Kind in der Vorphase Wörter inkorrekt vor, dass Kind soll diese als falsch zurückweisen. Die angebotenen inkorrekten Wörter weichen zunächst grob von der Phonologie des Zielwortes ab und nähern sich dann immer mehr der Fehlbildung des Kindes an. Auf diese Weise wird die Aufmerksamkeit des Kindes auf die phonologische Struktur gelenkt und von der Semantik getrennt. Sobald das Kind inkorrekte Wortstrukturen zurückweist, kann in die erste Phase gewechselt werden. In der ersten Phase soll das Kind die phonologischen Kontraste der Ziel- und Ersatzlaute zunächst isoliert, danach auf Silbenebene, dann in Pseudowörtern und letztlich auf Realwortebene in allen Positionen rezeptiv differenzieren lernen. Eine zu 70-90% korrekte Identifikation wird als Indikator für die nächst höhere linguistische Ebene angesehen (Fox-Boyer, 2014c). Ziel der zweiten Phase stellt die korrekte phonemische Produktion des Kindes dar. Dem Kind werden die Ziel- und Ersatzlaute zunächst isoliert im Wechsel angeboten, um diese aufbauend in Silben zu integrieren. Die dritte Phase besteht aus rezeptiven und expressiven Anteilen (vgl. Tabelle 1). Das Kind soll seine veränderte phonologische Speicherung mit dem neuen motorischen Programm koppeln. Die zentrale Übung stellt die Reimproduktion dar. Das Kind soll „leise“ im Kopf entscheiden, welcher Ziellaut im Realwort enthalten ist. Im Anschluss soll das Kind das Item mit allen Ziel- und Ersatzlauten aussprechen. Dabei wird es zur Produktion von Reim- und Pseudowörtern kommen. Es gibt keine festgelegte Hierarchie der Wortposition (Fox-Boyer, 2014c). Das Vorgehen bei Strukturprozessen entspricht dem dargestellten Vorgehen bei Substitutionsprozessen mit dem Unterschied, dass lediglich die Onsetposition in der Therapie berücksichtigt wird (Fox, 2003).

Für den deutschsprachigen Raum liegen drei Studien zu P.O.P.T. vor (Bräger, Nicolai & Günther, 2007; Fox, 2003; Teutsch & Fox, 2004;). Alle Studien zeigen positive Effekte, wobei Fox (2003) die größte Gruppe untersuchte. In der Originalveröffentlichung von 2003 belegte sie bei 31 Kindern eine Symptomfreiheit oder minimale Restsymptome nach der Behandlung mit P.O.P.T. Kinder mit phonologischen Verzögerungen benötigten durchschnittlich 12 Therapieeinheiten und Kinder mit konsequenten phonologischen Störungen durchschnittlich 19 Therapien. Evidenznachweise aus dem internationalen Raum liegen nicht vor (Fox-Boyer et al., 2014).

4.2.4 Inkonsequenztherapie

Die Inkonsequenztherapie wurde von Fox (2003) für die Behandlung von inkonsequenten phonologischen Störungen (Dodd, 1995) entwickelt. Das übergeordnete Ziel stellt die konsequente Wortrealisation dar. Nach Erreichen einer Wortrealisationsinkonsequenz von <40% wechselt der Behandlungsansatz zu einem für konsequente phonologische Verzögerungen oder Störungen geeigneten. Laut Fox-Boyer (2016) sind 1-2 Zyklen à 10 Therapieeinheiten erforderlich um eine Wortrealisationskonsequenz zu erreichen.

Die Behandlung unterscheidet sich in zwei Punkten von der Phonologietherapie: Es wird von Beginn an parallel rezeptiv und expressiv gearbeitet, des Weiteren findet eine direkte Korrektur statt in der das Kind mehrfach zur fehlerfreien Produktion innerhalb der Therapie angehalten wird. Der Schwerpunkt im rezeptiven Part liegt in einer Verbesserung der Gedächtnis- und Sequenzleistung. Das Kind soll eine Reihenfolge von 1-3 Lauten erkennen und mithilfe von Lautsymbolen wiedergeben. Im expressiven Part werden drei unterschiedliche Aufgaben parallel trainiert. Das Kind soll isoliert Laute und Silben in vorgegebener Reihenfolge expressiv imitieren, mehrsilbige Wörter korrekt in Silben segmentieren und ein vorgegebenes Übungswort mehrfach fehlerfrei in einer Spielsequenz aussprechen. Das Ziel der expressiven Therapieanteile stellt ein Gewinn an Eigenkontrolle dar (Fox-Boyer et al., 2014). Fox-Boyer (2016) beschrieb vier Fallbeispiele in denen die Kinder mit 1-2 Zyklen Inkonsequenztherapie konsequent in ihrer Wortrealisation wurden.

5 Zusammenfassung

Unter dem Begriff kindliche Aussprache­störungen werden organische und funktionelle Aussprachestörungen zusammengefasst. Eine weitere Einteilung ist anhand der Symptomarten nach dem psycholinguistisch orientierten Klassifikationsmodell von Dodd (1995) in phonetische Störung, phonologische Verzögerung, konsequente phonologische Störung und inkonsequente phonologische Störung möglich. Für die Diagnostik finden im Deutschen vor allem die PLAKSS-II (Fox-Boyer, 2014b) sowie die PDSS (Kauschke & Siegmüller, 2009) Anwendung. Für die Behandlung von phonetischen Störung wird die Artikulationstherapie (van Riper, 1939) durchgeführt, bei phonologischen Verzögerungen/Störungen gilt die für das deutsche konzipierte P.O.P.T. (Fox-Boyer, 2016) als besonders    effektiv und effizient.  

Ramona Keul1

ramona.keul@eufh-med.de

Tab. 2.

Magdalena Brudnicki

Nina Osiecki


Zdroje

  1. Bankson, N. W., Bernthal, J. E., & Flipsen, P. (2013). Speech sound assessment procedures. Articulation and phonological disorders: Speech sound disorders in children, 180-211.

  2. Bräger, B., Nicolai, A., & Günther, T. (2007). Therapieeffektivität der Psycholinguistisch orientierten Phonologie Therapie (POPT): Eine Therapieeffektstudie mit Kindern unter 6 Jahren. Sprache· Stimme· Gehör, 31(04), 170-175.

  3. Dean, E. C., Howell, J., Reid, J., Grieve, R., & Donaldson, M. (1996). Evaluating therapy for child phonological disorder: a group study of Metaphon therapy. Pathologies of speech and language: contributions of clinical phonetics and linguistics. International Clinical Phonetics and Linguistics Association, New Orleans, LA, 279-85.

  4. Dean, E. C., Howell, J., Waters, D., & Reid, J. (1995). Metaphon: A metalinguistic approach to the treatment of phonological disorder in children. Clinical Linguistics & Phonetics, 9(1), 1-19.

  5. DIMDI- Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (2005a). ICF. zugegriffen am 10.04.2018 über: https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm.

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